Sie befinden sich auf der alten Website der
Gesellschaft zur Stärkung der Verben. Den Inhalt dieser
Seite finden Sie jetzt in unserem Wiki.
Das Haikö der Haikos
Ein Gastbeitrag der GSV für die Initiative
Rettet dem Ö!
Jöhann Wölfgang vön Göthe soll einmal unvergesslich bemorken haben:
Jede große Kunstform wird früher oder später einmal dem Ö
retten. So scheint es auch beim Haiko zu sein, einer Gedichtform, die
nunmehr schon auf eine lange und ruhmreiche Geschichte von zweieinhalb
Monaten zurückblickt. Erfunden wurde sie von Gerhard Schwenke, benannt in
Anlehnung an das japanische Haiku (auch eine sehr kurze Gedichtform),
definiert als hailiger Hain des Konjunktivs, eine Möglichkeit, sich
dichterisch auszutoben und gleichzeitig beim Leser das Bewusstsein für
saftige, starke, bald umlautende, in jedem Fall unregelmäßige
Konjunktivformen zu wecken, fern der schnöden Umschreibung mit würde.
Wer will schon Ich würde toben. sagen, wenn man auch Ich töbe
sagen kann? Womit auch klar ist: Die Konjunktive müssen durchaus nicht im
Wörterbuch stehen, sondern dürfen frei erfunden sein. Zwülfe
kommt von zweifeln, hächte kommt von henken (so wie bei
denken), miüe von miauen, erdrisse von
erdreisten und so weiter - und so sehen die Endprodukte des Stärkens,
Konditionalkonstruierens und Dichtens dann zum Beispiel aus:
Im Sommer
Schniee es hier,
führe ich Skier.
Andreas M. Cramer
Wenn ich in der Klemme stäke,
wönsch ich nicht, dass man mich näke!
Klaus Bailly
Bei so vielen unregelmäßigen Konjunktiven verwundert es nicht, dass
die Gesellschaft zur Stärkung der Verben sich der Haikos annahm und dank
großem Reimfieber in der Netzgemeinde schon fast 100 Haikos gesolmmen
hat, eins schöner als das andere. Doch erst kürzlich trug es sich zu,
dass mir scheinbar zufällig, von Schicksals Hand gelenkt, das erste auffällig
ö-lastige Haiko aus den Fingern in die Tasten floss, sozusagen das Haikö
der Haikos. Ich hatte gerade einen lange ertragenen Missstand beseitigt
und dem schönen alten Verb dünken den Konjunktiv II verpasst, der
ihm bis dato laut Wörterbuch irgendwie fehlte: dünken, deuchte, döche,
gedeucht! Und so strahlte mich nach vollendeter Reimschmiedearbeit das
gleich mitgedichtete zugehörige Haiko an:
Flörtte er auch dröge,
mich döche doch, er flöge!
Wie die Analyse ergibt, geht es hier um jemanden, der einen Flugversuch
unternimmt. Das lyrische Ich ist voll des Vertrauens zu diesem und bringt
zum Ausdruck, dass ihm ein Gelingen des Versuches wahrscheinlich
erscheint, selbst wenn das Flattern (flattern, flortt, flörtte,
geflortten) des Versuchers dröge wirken mag. Einem genaueren Blick,
auf das Haiko geworfen, wird nicht nur die Vielzahl (Vierzahl), sondern
auch die Anordnung der ös auffallen. Nicht umsonst sehen Sie das Haiko
auf Ihrem Bildschirm in nicht-proportionaler Type, denn wenn Sie jetzt
einen wasserlöslichen Marker nehmen und sie verbinden, erhalten sie ein
exaktes Parallelogramm, das nicht nur an einen Lilienthalschen oder dädaläischen
Flatterflügel erinnert, sondern auch - das beschließe ich jetzt einfach
mal - das Geheimzeichen der Haikonianer ist, einer geheimbündlerischen
Sekte oder Burschenschaft, von der man munkelt, einer der größten
zeitgenössischen Haiko-Dichter plane ihre Gründung. Bedeutungsschwöre,
wohin man blickt - eins ist gewiss: Das Haiko wird starken Konjunktiven,
Umlauten und damit natürlich auch den ös auch weiterhin einen
exzellenten literarischen Nährboden bieten.
Kilian Evang
zurück zu Aufsätze
|
 |
|