Das Interview: Unterschied zwischen den Versionen

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Aus gegebenem Anlaß - hier die Internationalen Oberhausener Kurzfilmtage - sehen Sie die Live-Aufzeichnung des Interviews mit einem der wohl profiliertesten Shootingstars der laufenden Saison. Der 64jährige Jungfilmer Udo Graf Randolph zu Piesmeck-Sayn gab sein Debut mit dem Œuvre 'Das Sein auf Sayn ist hart wie Stein'.
Aus gegebenem Anlaß - hier die Internationalen Oberhausener Kurzfilmtage - sehen Sie die Live-Aufzeichnung des Interviews mit einem der wohl profiliertesten Shootingstars der laufenden Saison. Der 64jährige Jungfilmer Udo Graf Randolph zu Piesmeck-Sayn gab sein Debut mit dem Œuvre 'Das Sein auf Sayn ist hart wie Stein'.


REP.: Herr Graf...
<pre style="background: none; border-style: none; font-size: large;">Rep.: Herr Graf...
UGR.: Udo, sagen Sie einfach Udo, ich hänge nicht an diesen überkommenen  
UGR:   Udo, sagen Sie einfach Udo, ich hänge nicht an diesen überkommenen  
          Regularien des europäischen Adels, ich bin da ganz locker.
      Regularien des europäischen Adels, ich bin da ganz locker.
Rep.:  Udo, Sie haben...
Rep.:  Udo, Sie haben...
UGR.: Nein, nein, so geht das nicht, wenn Sie mich Udo nennen, müssen Sie  
UGR:   Nein, nein, so geht das nicht, wenn Sie mich Udo nennen, müssen Sie  
          mich duzen, Vorname und 'Sie' ist nur den Kindern in der Schule   
      mich duzen, Vorname und 'Sie' ist nur den Kindern in der Schule   
          vorbehalten, da hört sich 'Udo, Sie' schon etwas seltsam an. Das erinnert  
      vorbehalten, da hört sich 'Udo, Sie' schon etwas seltsam an. Das erinnert  
          mich ja an meine Jugend, jeuness dorée, ha ha ha, sag' ich ja immer,  
      mich ja an meine Jugend, jeuness dorée, ha ha ha, sag' ich ja immer,  
          aber das liegt hinter mir. Sie können mich aber auch einfach
      aber das liegt hinter mir. Sie können mich aber auch einfach
          'Durchlaucht' nennen, das geht protokollarisch völlig in Ordnung. Aber  
      'Durchlaucht' nennen, das geht protokollarisch völlig in Ordnung. Aber  
          dann natürlich mit  'Sie'.
      dann natürlich mit  'Sie'.
Rep.:  Durchlaucht, Sie...
Rep.:  Durchlaucht, Sie...
UGR.: Sie können natürlich auch die ältere Form 'Ihro Durchlaucht' nehmen, ich  
UGR:   Sie können natürlich auch die ältere Form 'Ihro Durchlaucht' nehmen, ich  
          bin da ganz frei, suchen Sie sich was aus, ich mache ja alles mit.
      bin da ganz frei, suchen Sie sich was aus, ich mache ja alles mit.
Regie: Können wir dann jetzt mal?
Regie: Können wir dann jetzt mal?
Rep.:  Graf Udo,...
Rep.:  Graf Udo,...
UGR: Ja, das geht auch, manche Familienmitglieder rufen mich ja auch
UGR:   Ja, das geht auch, manche Familienmitglieder rufen mich ja auch
          Randolph, Gottchen ja, sollen sie doch, mir soll's recht sein. Wissen Sie,  
      Randolph, Gottchen ja, sollen sie doch, mir soll's recht sein. Wissen Sie,  
          meine Mutter benutzte lieber den Namen Randolph, Vater sagte eher  
      meine Mutter benutzte lieber den Namen Randolph, Vater sagte eher  
          Udo; und meine Schwestern haben mich ja sowieso mit meinem  
      Udo; und meine Schwestern haben mich ja sowieso mit meinem  
          Spitznamen angeredet, aber den verrate ich Ihnen nicht, das ist denn  
      Spitznamen angeredet, aber den verrate ich Ihnen nicht, das ist denn  
          doch zu intim. Nur so viel: er fängt mit 'P' an.
      doch zu intim. Nur so viel: er fängt mit 'P' an.
Rep.: Pummel, Porky, Pelle, Pascha...?
Rep.: Pummel, Porky, Pelle, Pascha...?
UGR: Nein, nein,  lassen Sie nur, Sie kommen eh nicht drauf!
UGR:   Nein, nein,  lassen Sie nur, Sie kommen eh nicht drauf!
Rep.: Äh, Sie haben heute der Jury hier in Oberhausen Ihr Erstlingswerk
Rep.: Äh, Sie haben heute der Jury hier in Oberhausen Ihr Erstlingswerk
        vorgelegt.
      vorgelegt.
UGR: Ja, genau.
UGR:   Ja, genau.
Rep.:  Sind Sie sicher, daß sie damit das richtige Forum für Ihren Film gefunden  
Rep.:  Sind Sie sicher, daß sie damit das richtige Forum für Ihren Film gefunden  
          haben?
      haben?
UGR: Wieso, die Frage verstehe ich nicht.
UGR:   Wieso, die Frage verstehe ich nicht.
Rep.: Nun, wir sind hier auf den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen,  
Rep.:  Nun, wir sind hier auf den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen,  
        ein renommiertes Event der Filmschaffenden - aber halt Kurzfilmtage.  
      ein renommiertes Event der Filmschaffenden - aber halt Kurzfilmtage.  
      Wenn ich richtig aufgepaßt habe, dauert Ihr Film geschlagene  
      Wenn ich richtig aufgepaßt habe, dauert Ihr Film geschlagene  
sechseinhalb Stunden - ohne  Pause.
      sechseinhalb Stunden - ohne  Pause.
UGR: Das ist einerseits richtig, aber bedenken Sie doch auch: Kurzfilmtage!  
UGR:   Das ist einerseits richtig, aber bedenken Sie doch auch: Kurzfilmtage!  
Das darf man einfach nicht so pingelig auslegen, Herr... wie war noch Ihr  
      Das darf man einfach nicht so pingelig auslegen, Herr... wie war noch Ihr  
      Name?  
      Name?  
Rep.: Mandelbauer, Peter Mandelbauer.
Rep.: Mandelbauer, Peter Mandelbauer.
UGR: Ist jüdisch, nicht wahr? Warum auch nicht, ich habe da keine Vorurteile...
UGR:   Ist jüdisch, nicht wahr? Warum auch nicht, ich habe da keine Vorurteile...
Rep.: Nicht, daß ich wüßte, mein Urgroßvater kam aus Frankreich, der hieß noch
Rep.: Nicht, daß ich wüßte, mein Urgroßvater kam aus Frankreich, der hieß noch
          Amandier, wurde dann später eingedeutscht.
      Amandier, wurde dann später eingedeutscht.
UGR: Is ja interessant! Na ja, man kann sich seine Vorfahren nicht aussuchen,  
UGR:   Is ja interessant! Na ja, man kann sich seine Vorfahren nicht aussuchen,  
wem sagen Sie das!?
      wem sagen Sie das!?
Regie: Kann es weitergehen?
Regie: Kann es weitergehen?
Rep.: Kommen wir zum Inhalt, es scheint sich da um eine sehr persönliche  
Rep.: Kommen wir zum Inhalt, es scheint sich da um eine sehr persönliche  
        Darstellung Ihrer Jugend auf dem Sitz derer zu Piesmeck-Sayn zu  
      Darstellung Ihrer Jugend auf dem Sitz derer zu Piesmeck-Sayn zu  
        handeln.
      handeln.
UGR: Falsch, gar nicht, ich habe eine radikale Abrechnung mit den kryptischen  
UGR:   Falsch, gar nicht, ich habe eine radikale Abrechnung mit den kryptischen  
        Verkrustungen des typisch deutschen mittleren bis hohen Adels in der  
      Verkrustungen des typisch deutschen mittleren bis hohen Adels in der  
        Kriegs- und Nachkriegsära - also unter Adenauer - filmisch umgesetzt -  
      Kriegs- und Nachkriegsära - also unter Adenauer - filmisch umgesetzt -  
        basta. Das mag einigen Häusern übel aufstoßen, aber so bin ich nun mal:  
      basta. Das mag einigen Häusern übel aufstoßen, aber so bin ich nun mal:  
        grenzüberschreitend, kompromißlos, radikal, furchtlos.  
      grenzüberschreitend, kompromißlos, radikal, furchtlos.  
Rep.: Aber weder aus den deutschen, noch aus anderen europäischen Fürsten-
Rep.: Aber weder aus den deutschen, noch aus anderen europäischen Fürsten-
        häusern ist je eine Wort über Ihren Film gedrungen, die scheinen den gar
      häusern ist je eine Wort über Ihren Film gedrungen, die scheinen den gar
        nicht zu kennen.
      nicht zu kennen.
UGR: Ignorante Snobs!
UGR:   Ignorante Snobs!
Rep.: Vielleicht liegt es ja auch daran, daß sich bis jetzt kein Kino gefunden  
Rep.: Vielleicht liegt es ja auch daran, daß sich bis jetzt kein Kino gefunden  
        hat....
      hat....
UGR: Jo, kann sein, wissen Sie, das übliche Kinopublikum ist doch eine Masse
UGR:   Jo, kann sein, wissen Sie, das übliche Kinopublikum ist doch eine Masse
          von Kretins, die nichts, aber auch gar nichts von der Kunst des  
      von Kretins, die nichts, aber auch gar nichts von der Kunst des  
ambitionierten Filmens verstehen. Hauptsache 'bum bum' und dicke  
      ambitionierten Filmens verstehen. Hauptsache 'bum bum' und dicke  
          Möpse, das reicht denen doch.
      Möpse, das reicht denen doch.
Regie: Weiter, das schneiden wir raus.
Regie: Weiter, das schneiden wir raus.
UGR: Meine Filme sind eben nichts für Hinz und Kunz, da braucht es schon eine  
UGR:   Meine Filme sind eben nichts für Hinz und Kunz, da braucht es schon eine  
        gewisse geistige Elite, um meine Metaphorik...
      gewisse geistige Elite, um meine Metaphorik...
Regie: Schneiden wir auch, das mit Hinz und Kunz.
Regie: Schneiden wir auch, das mit Hinz und Kunz.
Rep.: Kommen wir zu den baulichen Elementen, zum Beispiel den Montagen...
Rep.: Kommen wir zu den baulichen Elementen, zum Beispiel den Montagen...
UGR: Genau, das hat Sie umgehauen, was? So radikal ist wohl noch kein  
UGR:   Genau, das hat Sie umgehauen, was? So radikal ist wohl noch kein  
        Filmschaffender das Cutting angegangen.  
      Filmschaffender das Cutting angegangen.  
Rep.: Nun ja, ich will mal sagen 'eigenwillig'.
Rep.: Nun ja, ich will mal sagen 'eigenwillig'.
UGR: Fragen Sie ruhig, wenn Sie etwas nicht verstanden haben!
UGR:   Fragen Sie ruhig, wenn Sie etwas nicht verstanden haben!
Rep.: Um ehrlich zu sein, die letzten zwei Stunden des Films bestehen aus  
Rep.: Um ehrlich zu sein, die letzten zwei Stunden des Films bestehen aus  
        immer derselben Szene: Ihrer Frau Großmutter verrutscht beim  
      immer derselben Szene: Ihrer Frau Großmutter verrutscht beim  
        Mittagessen während sie in die Suppe pustet die Zahnprotese, diese fällt  
      Mittagessen während sie in die Suppe pustet die Zahnprotese, diese fällt  
        dann in den Teller. Wir haben das mal analysiert, die Szene wiederholt  
      dann in den Teller. Wir haben das mal analysiert, die Szene wiederholt  
        sich alle 4,3 Sekunden - und das zwei Stunden lang.
      sich alle 4,3 Sekunden - und das zwei Stunden lang.
UGR: Falsch, völlig falsch, es war beim abendlichen Diner. Wir essen in unseren  
UGR:   Falsch, völlig falsch, es war beim abendlichen Diner. Wir essen in unseren  
Kreisen immer abends warm. Großmutter mochte ja eigentlich keine  
      Kreisen immer abends warm. Großmutter mochte ja eigentlich keine  
Suppen, aber sie hat das für uns getan, damit wir Lebensart und Stil  
      Suppen, aber sie hat das für uns getan, damit wir Lebensart und Stil  
lernen. Am liebsten aß sie ja Kartoffelbrei, vielleicht auch wegen der  
      lernen. Am liebsten aß sie ja Kartoffelbrei, vielleicht auch wegen der  
Zähne, ich weiß das nicht mehr so genau.  
      Zähne, ich weiß das nicht mehr so genau.  
Rep.: Können wir dann zurück zum Film?
Rep.: Können wir dann zurück zum Film?
UGR: Kartoffelbrei und Würstchen, daran erinnere ich mich. Jeden verdammten  
UGR:   Kartoffelbrei und Würstchen, daran erinnere ich mich. Jeden verdammten  
        Mittag gab es Kartoffelbrei und Würstchen, jeden Mittag, können Sie sich
      Mittag gab es Kartoffelbrei und Würstchen, jeden Mittag, können Sie sich
das vorstellen? Ich kriege das Würgen, wenn ich nur dran denke! Wie war
      das vorstellen? Ich kriege das Würgen, wenn ich nur dran denke! Wie war
gleich Ihre Frage?
      gleich Ihre Frage?
Rep.: Der Film, ich meine der Film...
Rep.: Der Film, ich meine der Film...
UGR: Welcher Film - ach so ja, 4,3 Sekunden, das hat was, müssen Sie doch  
UGR:   Welcher Film - ach so ja, 4,3 Sekunden, das hat was, müssen Sie doch  
wohl zugeben. Dahinter verbirgt sich natürlich eine enigmatische Zahl.  
      wohl zugeben. Dahinter verbirgt sich natürlich eine enigmatische Zahl.  
Wissen Sie überhaupt, was enigmatisch  heißt?
      Wissen Sie überhaupt, was enigmatisch  heißt?
Rep.: Ja, äh, eigentlich....
Rep.: Ja, äh, eigentlich....
UGR: Rätselhaft, rätselhaft heißt das, aber ich finde enigmatisch etwas rätsel-
UGR:   Rätselhaft, rätselhaft heißt das, aber ich finde enigmatisch etwas rätsel-
      hafter, deshalb nehme ich das lieber.
      hafter, deshalb nehme ich das lieber.
Rep.: Und was ist das Rätsel, wenn ich fragen darf?
Rep.: Und was ist das Rätsel, wenn ich fragen darf?
UGR: 10-43, das steckt dahinter.
UGR:   10-43, das steckt dahinter.
Rep.: ????
Rep.: ????
UGR: Sehen Sie, damit können Sie auch nichts anfangen, was? Wußte ich  
UGR:   Sehen Sie, damit können Sie auch nichts anfangen, was? Wußte ich  
früher aber auch nicht. Habe ich aber dann in so einer Zeitschrift  
      früher aber auch nicht. Habe ich aber dann in so einer Zeitschrift  
gelesen,10-43 Sekunden dauerte es vom Urknall bis zum Verlust der  
      gelesen,10-43 Sekunden dauerte es vom Urknall bis zum Verlust der  
  Eindimensionalität des Universums, danach: zack, alles dreidimensional,  
      Eindimensionalität des Universums, danach: zack, alles dreidimensional,  
das muß man sich mal vorstellen. Dann ist auf einmal alles da, Raum, Zeit  
      das muß man sich mal vorstellen. Dann ist auf einmal alles da, Raum, Zeit  
und das ganze Drumherum. Natürlich in gewisser Weise auch Kartoffelbrei  
      und das ganze Drumherum. Natürlich in gewisser Weise auch Kartoffelbrei  
  und Würstchen. Also ich meine jetzt nicht so direkt, aber der Grundstein  
      und Würstchen. Also ich meine jetzt nicht so direkt, aber der Grundstein  
war doch gelegt, das hat sich wohl beim Urknall so keiner recht gedacht.  
      war doch gelegt, das hat sich wohl beim Urknall so keiner recht gedacht.  
Sie doch auch nicht, Herr Mandelstein, seien Sie ehrlich!
      Sie doch auch nicht, Herr Mandelstein, seien Sie ehrlich!
Rep.: Mandelbauer! ???
Rep.: Mandelbauer!
UGR: Sehen Sie, hat später nach den 10-43 Sekunden auch niemand geahnt, daß  
UGR:   Sehen Sie, hat später nach den 10-43 Sekunden auch niemand geahnt, daß  
sowas wie Sie mal dabei rauskommt. Ist doch stark, oder?
      sowas wie Sie mal dabei rauskommt. Ist doch stark, oder?
Rep.: Und der Film, wo ist er Bezug zum Film?
Rep.: Und der Film, wo ist er Bezug zum Film?
UGR: Meine Güte, Sie sind aber auch schwer von Begriff: Urknall, Urmutter,  
UGR:   Meine Güte, Sie sind aber auch schwer von Begriff: Urknall, Urmutter,  
Großmutter, Großereignis, das paßt doch wie die Hand in den Schuh,
      Großmutter, Großereignis, das paßt doch wie die Hand in den Schuh,
Handschuh natürlich. Das Gebiss, das ewige Rein und Raus, das Werden
      Handschuh natürlich. Das Gebiss, das ewige Rein und Raus, das Werden
und Vergehen, das springt einem doch ins Auge. 43 sage ich Ihnen, ist
      und Vergehen, das springt einem doch ins Auge. 43 sage ich Ihnen, ist
der Schlüssel zu meinem Film. Und außerdem bin ich 1943 geboren,  
      der Schlüssel zu meinem Film. Und außerdem bin ich 1943 geboren,  
habe Schuhgröße 43 und trage Hemden mit Kragenweite 43. Sehen Sie  
      habe Schuhgröße 43 und trage Hemden mit Kragenweite 43. Sehen Sie  
endlich die Parallelen?
      endlich die Parallelen?
Rep.: Aber das ist doch ein wenig weit hergeholt.
Rep.: Aber das ist doch ein wenig weit hergeholt.
UGR: Meinen Sie, ja? Egal, jetzt ist er Film fertig, ändern kann man da jetzt
UGR:   Meinen Sie, ja? Egal, jetzt ist er Film fertig, ändern kann man da jetzt
nichts mehr.  
      nichts mehr.  
Regie: Frag' ihn doch mal was über die ersten viereinhalb Stunden.
Regie: Frag' ihn doch mal was über die ersten viereinhalb Stunden.
Rep.: Muß das sein?
Rep.: Muß das sein?
Regie: Nu mach schon!
Regie: Nu mach schon!
Rep.: Und der Beginn des Films, Graf Piesmeck-Sayn?
Rep.: Und der Beginn des Films, Graf Piesmeck-Sayn?
UGR: ZU, zu Piesmeck-Sayn, bitte. Ja, die ersten Kapitel schildern das traurige  
UGR:   ZU, zu Piesmeck-Sayn, bitte. Ja, die ersten Kapitel schildern das traurige  
Leben eines jungen Edelmannes, der zwischen Matrosenanzug, schweren
      Leben eines jungen Edelmannes, der zwischen Matrosenanzug, schweren
Gobelins, drei älteren Schwestern und Kartoffelbrei mit Würstchen aufge-
      Gobelins, drei älteren Schwestern und Kartoffelbrei mit Würstchen aufge-
rieben wird.
      rieben wird.
Rep.: Och, Sie machen aber im Film einen ganz munteren Eindruck.
Rep.: Och, Sie machen aber im Film einen ganz munteren Eindruck.
UGR: Fassade und Contenance! Wir lernen das. Davon versteht Ihr Bürger-
UGR:   Fassade und Contenance! Wir lernen das. Davon versteht Ihr Bürger-
lichen nichts. Dazu fehlt es Euch an allen Ecken und Enden! Dieses Hin- und Hergerissensein zwischen Pflichterfüllung in der Familie einerseits und lustvollen Jadgen und Landpartien andererseits - gar nicht einfach! Um  
      lichen nichts. Dazu fehlt es Euch an allen Ecken und Enden! Dieses Hin-
ehrlich zu sein: ich saufe lieber Cognac mit meinem Kammerdiener, als  
      und Hergerissensein zwischen Pflichterfüllung in der Familie einerseits und
mit der Familie zu dinieren. Aber da läßt sich ein zu Piesmeck-Sayn nichts  
      lustvollen Jadgen und Landpartien andererseits - gar nicht einfach! Um  
anmerken, da geht der durch wie ein heißes Messer durch die Butter, aus  
      ehrlich zu sein: ich saufe lieber Cognac mit meinem Kammerdiener, als  
solchem Holz sind wir - und ab dafür!
      mit der Familie zu dinieren. Aber da läßt sich ein zu Piesmeck-Sayn nichts  
Regie:Mach weiter, wir schneiden das auch raus.
      anmerken, da geht der durch wie ein heißes Messer durch die Butter, aus  
UGR: [laut] Hätte ich mir ja denken können, daß hier kein Aas die Subtilität zum
      solchem Holz sind wir - und ab dafür!
Verständnis real existiernder Lebensdramen aufbringt.
Regie: Mach weiter, wir schneiden das auch raus.
Rep.: Zum Schluß noch eine Frage: wie stellen Sie sich Ihre Zukunft im inter-
UGR:   [laut] Hätte ich mir ja denken können, daß hier kein Aas die Subtilität zum
nationalen Filmgeschäft vor?
      Verständnis real existiernder Lebensdramen aufbringt.
UGR: Ich werde selbstverständlich unermüdlich weiter an meinen Visionen  
Rep.: Zum Schluß noch eine Frage: wie stellen Sie sich Ihre Zukunft im inter-
arbeiten. Die Familie hat bereits die Gelder für einen filmischen Zyklus
      nationalen Filmgeschäft vor?
über die vom Haus zu Piesmeck-Sayn seit Jahren erfolgreich geführte  
UGR:   Ich werde selbstverständlich unermüdlich weiter an meinen Visionen  
Rauhaardackelzucht bereitgestellt.  
      arbeiten. Die Familie hat bereits die Gelder für einen filmischen Zyklus
Meine Schwestern meinen, das sei sogar günstiger als ein standes-
      über die vom Haus zu Piesmeck-Sayn seit Jahren erfolgreich geführte  
gemäßes Sanatorium.
      Rauhaardackelzucht bereitgestellt.  
Rep.: Vielen Dank, Durchlaucht, und alles Gute für die Zukunft.
      Meine Schwestern meinen, das sei sogar günstiger als ein standes-
UGR: Und wie komme ich jetzt nach Hause?
      gemäßes Sanatorium.
Rep.: Vielen Dank, Durchlaucht, und alles Gute für die Zukunft.
UGR:   Und wie komme ich jetzt nach Hause?</pre>
 
{{Dramatisches}}

Aktuelle Version vom 20. August 2008, 23:21 Uhr

Aus gegebenem Anlaß - hier die Internationalen Oberhausener Kurzfilmtage - sehen Sie die Live-Aufzeichnung des Interviews mit einem der wohl profiliertesten Shootingstars der laufenden Saison. Der 64jährige Jungfilmer Udo Graf Randolph zu Piesmeck-Sayn gab sein Debut mit dem Œuvre 'Das Sein auf Sayn ist hart wie Stein'.

Rep.:  Herr Graf...
UGR:   Udo, sagen Sie einfach Udo, ich hänge nicht an diesen überkommenen 
       Regularien des europäischen Adels, ich bin da ganz locker.
Rep.:  Udo, Sie haben...
UGR:   Nein, nein, so geht das nicht, wenn Sie mich Udo nennen, müssen Sie 
       mich duzen, Vorname und 'Sie' ist nur den Kindern in der Schule   
       vorbehalten, da hört sich 'Udo, Sie' schon etwas seltsam an. Das erinnert 
       mich ja an meine Jugend, jeuness dorée, ha ha ha, sag' ich ja immer, 
       aber das liegt hinter mir. Sie können mich aber auch einfach
       'Durchlaucht' nennen, das geht protokollarisch völlig in Ordnung. Aber 
       dann natürlich mit  'Sie'.
Rep.:  Durchlaucht, Sie...
UGR:   Sie können natürlich auch die ältere Form 'Ihro Durchlaucht' nehmen, ich 
       bin da ganz frei, suchen Sie sich was aus, ich mache ja alles mit.
Regie: Können wir dann jetzt mal?
Rep.:  Graf Udo,...
UGR:   Ja, das geht auch, manche Familienmitglieder rufen mich ja auch
       Randolph, Gottchen ja, sollen sie doch, mir soll's recht sein. Wissen Sie, 
       meine Mutter benutzte lieber den Namen Randolph, Vater sagte eher 
       Udo; und meine Schwestern haben mich ja sowieso mit meinem 
       Spitznamen angeredet, aber den verrate ich Ihnen nicht, das ist denn 
       doch zu intim. Nur so viel: er fängt mit 'P' an.
Rep.:  Pummel, Porky, Pelle, Pascha...?
UGR:   Nein, nein,  lassen Sie nur, Sie kommen eh nicht drauf!
Rep.:  Äh, Sie haben heute der Jury hier in Oberhausen Ihr Erstlingswerk
       vorgelegt.
UGR:   Ja, genau.
Rep.:  Sind Sie sicher, daß sie damit das richtige Forum für Ihren Film gefunden 
       haben?
UGR:   Wieso, die Frage verstehe ich nicht.
Rep.:  Nun, wir sind hier auf den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen, 
       ein renommiertes Event der Filmschaffenden - aber halt Kurzfilmtage. 
       Wenn ich richtig aufgepaßt habe, dauert Ihr Film geschlagene 
       sechseinhalb Stunden - ohne  Pause.
UGR:   Das ist einerseits richtig, aber bedenken Sie doch auch: Kurzfilmtage! 
       Das darf man einfach nicht so pingelig auslegen, Herr... wie war noch Ihr 
       Name? 
Rep.:  Mandelbauer, Peter Mandelbauer.
UGR:   Ist jüdisch, nicht wahr? Warum auch nicht, ich habe da keine Vorurteile...
Rep.:  Nicht, daß ich wüßte, mein Urgroßvater kam aus Frankreich, der hieß noch
       Amandier, wurde dann später eingedeutscht.
UGR:   Is ja interessant! Na ja, man kann sich seine Vorfahren nicht aussuchen, 
       wem sagen Sie das!?
Regie: Kann es weitergehen?
Rep.:  Kommen wir zum Inhalt, es scheint sich da um eine sehr persönliche 
       Darstellung Ihrer Jugend auf dem Sitz derer zu Piesmeck-Sayn zu 
       handeln.
UGR:   Falsch, gar nicht, ich habe eine radikale Abrechnung mit den kryptischen 
       Verkrustungen des typisch deutschen mittleren bis hohen Adels in der 
       Kriegs- und Nachkriegsära - also unter Adenauer - filmisch umgesetzt - 
       basta. Das mag einigen Häusern übel aufstoßen, aber so bin ich nun mal: 
       grenzüberschreitend, kompromißlos, radikal, furchtlos. 
Rep.:  Aber weder aus den deutschen, noch aus anderen europäischen Fürsten-
       häusern ist je eine Wort über Ihren Film gedrungen, die scheinen den gar
       nicht zu kennen.
UGR:   Ignorante Snobs!
Rep.:  Vielleicht liegt es ja auch daran, daß sich bis jetzt kein Kino gefunden 
       hat....
UGR:   Jo, kann sein, wissen Sie, das übliche Kinopublikum ist doch eine Masse
       von Kretins, die nichts, aber auch gar nichts von der Kunst des 
       ambitionierten Filmens verstehen. Hauptsache 'bum bum' und dicke 
       Möpse, das reicht denen doch.
Regie: Weiter, das schneiden wir raus.
UGR:   Meine Filme sind eben nichts für Hinz und Kunz, da braucht es schon eine 
       gewisse geistige Elite, um meine Metaphorik...
Regie: Schneiden wir auch, das mit Hinz und Kunz.
Rep.:  Kommen wir zu den baulichen Elementen, zum Beispiel den Montagen...
UGR:   Genau, das hat Sie umgehauen, was? So radikal ist wohl noch kein 
       Filmschaffender das Cutting angegangen. 
Rep.:  Nun ja, ich will mal sagen 'eigenwillig'.
UGR:   Fragen Sie ruhig, wenn Sie etwas nicht verstanden haben!
Rep.:  Um ehrlich zu sein, die letzten zwei Stunden des Films bestehen aus 
       immer derselben Szene: Ihrer Frau Großmutter verrutscht beim 
       Mittagessen während sie in die Suppe pustet die Zahnprotese, diese fällt 
       dann in den Teller. Wir haben das mal analysiert, die Szene wiederholt 
       sich alle 4,3 Sekunden - und das zwei Stunden lang.
UGR:   Falsch, völlig falsch, es war beim abendlichen Diner. Wir essen in unseren 
       Kreisen immer abends warm. Großmutter mochte ja eigentlich keine 
       Suppen, aber sie hat das für uns getan, damit wir Lebensart und Stil 
       lernen. Am liebsten aß sie ja Kartoffelbrei, vielleicht auch wegen der 
       Zähne, ich weiß das nicht mehr so genau. 
Rep.:  Können wir dann zurück zum Film?
UGR:   Kartoffelbrei und Würstchen, daran erinnere ich mich. Jeden verdammten 
       Mittag gab es Kartoffelbrei und Würstchen, jeden Mittag, können Sie sich
       das vorstellen? Ich kriege das Würgen, wenn ich nur dran denke! Wie war
       gleich Ihre Frage?
Rep.:  Der Film, ich meine der Film...
UGR:   Welcher Film - ach so ja, 4,3 Sekunden, das hat was, müssen Sie doch 
       wohl zugeben. Dahinter verbirgt sich natürlich eine enigmatische Zahl. 
       Wissen Sie überhaupt, was enigmatisch  heißt?
Rep.:  Ja, äh, eigentlich....
UGR:   Rätselhaft, rätselhaft heißt das, aber ich finde enigmatisch etwas rätsel-
       hafter, deshalb nehme ich das lieber.
Rep.:  Und was ist das Rätsel, wenn ich fragen darf?
UGR:   10-43, das steckt dahinter.
Rep.:  ????
UGR:   Sehen Sie, damit können Sie auch nichts anfangen, was? Wußte ich 
       früher aber auch nicht. Habe ich aber dann in so einer Zeitschrift 
       gelesen,10-43 Sekunden dauerte es vom Urknall bis zum Verlust der 
       Eindimensionalität des Universums, danach: zack, alles dreidimensional, 
       das muß man sich mal vorstellen. Dann ist auf einmal alles da, Raum, Zeit 
       und das ganze Drumherum. Natürlich in gewisser Weise auch Kartoffelbrei 
       und Würstchen. Also ich meine jetzt nicht so direkt, aber der Grundstein 
       war doch gelegt, das hat sich wohl beim Urknall so keiner recht gedacht. 
       Sie doch auch nicht, Herr Mandelstein, seien Sie ehrlich!
Rep.:  Mandelbauer!
UGR:   Sehen Sie, hat später nach den 10-43 Sekunden auch niemand geahnt, daß 
       sowas wie Sie mal dabei rauskommt. Ist doch stark, oder?
Rep.:  Und der Film, wo ist er Bezug zum Film?
UGR:   Meine Güte, Sie sind aber auch schwer von Begriff: Urknall, Urmutter, 
       Großmutter, Großereignis, das paßt doch wie die Hand in den Schuh,
       Handschuh natürlich. Das Gebiss, das ewige Rein und Raus, das Werden
       und Vergehen, das springt einem doch ins Auge. 43 sage ich Ihnen, ist
       der Schlüssel zu meinem Film. Und außerdem bin ich 1943 geboren, 
       habe Schuhgröße 43 und trage Hemden mit Kragenweite 43. Sehen Sie 
       endlich die Parallelen?
Rep.:  Aber das ist doch ein wenig weit hergeholt.
UGR:   Meinen Sie, ja? Egal, jetzt ist er Film fertig, ändern kann man da jetzt
       nichts mehr. 
Regie: Frag' ihn doch mal was über die ersten viereinhalb Stunden.
Rep.:  Muß das sein?
Regie: Nu mach schon!
Rep.:  Und der Beginn des Films, Graf Piesmeck-Sayn?
UGR:   ZU, zu Piesmeck-Sayn, bitte. Ja, die ersten Kapitel schildern das traurige 
       Leben eines jungen Edelmannes, der zwischen Matrosenanzug, schweren
       Gobelins, drei älteren Schwestern und Kartoffelbrei mit Würstchen aufge-
       rieben wird.
Rep.:  Och, Sie machen aber im Film einen ganz munteren Eindruck.
UGR:   Fassade und Contenance! Wir lernen das. Davon versteht Ihr Bürger-
       lichen nichts. Dazu fehlt es Euch an allen Ecken und Enden! Dieses Hin-
       und Hergerissensein zwischen Pflichterfüllung in der Familie einerseits und
       lustvollen Jadgen und Landpartien andererseits - gar nicht einfach! Um 
       ehrlich zu sein: ich saufe lieber Cognac mit meinem Kammerdiener, als 
       mit der Familie zu dinieren. Aber da läßt sich ein zu Piesmeck-Sayn nichts 
       anmerken, da geht der durch wie ein heißes Messer durch die Butter, aus 
       solchem Holz sind wir - und ab dafür!
Regie: Mach weiter, wir schneiden das auch raus.
UGR:   [laut] Hätte ich mir ja denken können, daß hier kein Aas die Subtilität zum
       Verständnis real existiernder Lebensdramen aufbringt.
Rep.:  Zum Schluß noch eine Frage: wie stellen Sie sich Ihre Zukunft im inter-
       nationalen Filmgeschäft vor?
UGR:   Ich werde selbstverständlich unermüdlich weiter an meinen Visionen 
       arbeiten. Die Familie hat bereits die Gelder für einen filmischen Zyklus
       über die vom Haus zu Piesmeck-Sayn seit Jahren erfolgreich geführte 
       Rauhaardackelzucht bereitgestellt. 
       Meine Schwestern meinen, das sei sogar günstiger als ein standes-
       gemäßes Sanatorium.
Rep.:  Vielen Dank, Durchlaucht, und alles Gute für die Zukunft.
UGR:   Und wie komme ich jetzt nach Hause?

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