Eine Schwäche starker Verben

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von Berthold Janecek

I

Ich will schlicht beginnen. Starke Verben haben, finde ich, in ihren Abwandlungen zwei Höhepunkte und eine Schwäche. Seriöser Höhepunkt ist das Präteritum im Indikativ. Winterweh im Oberland vom Gisbert Haefs hinwiederum weist auf den komischen, den kauzigen Höhepunkt hin, den Konjunktiv II nämlich, auf ungewöhnliche Klangfarben, freilich auf Formen, die kräftiglich von 'würde' umdreut (-driuën – oder wie auch immer) werden.

Dagegen verblaßt nun das Partizip II starker Verben. Die reichlich überflüssige Vorsilbe ge- betrifft bekanntlich die Partizipien II sehr vieler Verben, wird nur von unbetonten – nicht etwa von betonten! – Vorsilben verdrängt und meidet peinlichst -ieren-(Fremd-)Verben. Damit ich nun nichts übersehe, ein Blick in den Grammatikduden: ge- fällt aus:

  • bei allen einfachen und präfigierten Verben, die nicht auf der ersten Silbe betont sind – und in allen Zusammensetzungen mit Verben dieser Gruppe – so wie
  • bei allen zusammengestzten Verben, die nicht auf dem ersten Glied betont sind.

Daß dem ge- in mündlicher Rede auch in einfachen, anfangsbetonten Verben weit stärker der Kampf angesagt werden kann, darauf verweise der Wiener Dialekt. Je nach Anlaut fällt ge- hier in Partizipien II entweder ganz aus (z.B. in den Dialektwörtern für geblieben, gepflanzt, gedacht, getrotzt, gegangen, gekratzt, gezogen) oder wird zu g- reduziert (z.B. bei geackert, geflogen, gesessen, geschafft).

Bevor ich aber zur eigentlichen Schwachstelle des Partizips II komme, ein kleiner Exkurs. Ich habe das Partizip II öfters – fälschlich! – als „P.P.P.“ abgekürzt, weil ich dabei allzu sehr an „meiner“ Gaar-Schusterschen Lateinischen Schulgrammatik hing, allwo dieses Partizipium – außer bei Deponentia und ein paar Ausnahmen – wirklich passiv ist. Im Deutschen wird ihm dagegen allzu viel aufgehalsen. Selbst nicht korrekte Formen weisen auf eine Tendenz, die Funktionen des Partizip II noch weiter auszudehnen. Fremdinnen & Fremden dedürfe freilich manchmal ein Urteil schwer fallen, ob eine Form nun korrekt sei oder nicht:

  • die in den Wald gewanderte Beerensammlerin
  • der gewanderte Bub
  • der gelaufene Film
  • die Gelaufene
  • der Betrunkene
  • der Bediente
  • der Gelehrte
  • das untergegangene Schiff
  • Ich bin geschlagen.
  • in belämmertem Zustand
  • verliebtes Getändel
  • der verschwiegene Freund
  • die zugenommene Hitze
  • die sich geärgerte Lehrerin
  • ...

Über ein falsch bezogenes Partizip II konnte Österreichs größter Dramatiker, Johann Nestroy, noch lachen (aus: Einen Jux will er sich machen):

Zangler: Hat er Kennnisse in der vermischten Warenhandlung?
Melchior: O, sehr viel! Wir hab’n zwar da, wo ich war, nur einen Artikel g’habt, aber der war ungeheuer vermischt, ich bin aus einer Weinhandlung.

Über die „Bedienten“ in Nestroys Rollenlisten schmunzle ich heute noch.

Noch ein kleiner Abschwiff, zu „allzu viel aufhalsen“: Die germanische Sprache mit der verzwicktesten (verzwockensten) Formengrammatik, das Isländische, behandelt das Partizipium II beim Perfekt immerhin anders als beim Passiv (das und das Folgende aus Kress, 1982). Bei schlagen heißt es im Perfekt Indikativ:

  • ég hef barið (das nun immer gleich bleibt) „ich habe geschlagen“
  • þu hefur barið
  • hann („er“) hefur barið
  • við höfum barið
  • þið hafið barið
  • þeir hafa barið

Ein Passiv ist das Anonymum, d.h., der Urheber eines Tuns soll zwar verschwiegen werden, es muß aber gleichwohl eine vorsätzlich handelnde Person hinter dem Tun stehen(!) Das Hilfszeitwort ist hier vera – „sein“. Das Partizipium richtet sich in Numerus und Genus nach dem Subjekt und zeigt starke Deklination(!) Dem deutschen geschlagen werden entsprechen im Singular vera barinn NM, vera barin NF, vera barið NN und im Plural vera barðir NM, vera barðar NF und vera barin NN(!) Im folgenden Paradigma (Präsens Indikativ) werden nur die maskulinen Formen aufgeführt.

  • ég er barinn „ich werde geschlagen“
  • þu ert barinn
  • hann er barinn
  • við erum barðir
  • þið eruð barðir
  • þeir eru barðir

Mediale Verben/Formen, ein Passiv mit verða „werden“ und etliches mehr gibt’s auch noch. Das sind die komplizoreneren (!) Sachen, die wir auch nach langem Gesturke nicht erreichen werden!

Kommen wir aber endlich zur Achillesferse des Partizip II (meiner bescheidenen Meinung nach) – Doppelpunkt – zu jenem reichlich überflüssigen, halb verschluckten, pardon, verschlockenen -en-Gemurmel am Wortende. Von „komplizoreneren“ Sachen schrieb ich soeben. „Kompliziertere“ Sachen sind gleich viel klarer. Mein Hauptbeispiel – der folgende Absatz – bedarf gar einer kleinen Zwischen-Überschrift:

Die Formen der Hawaiigans – Nēnē

Es handelt sich um Verben nach dem Schema „Vokal (auch Diphthong oder Vokal mit Dehnungs-h, ie)+-(n)nen“. Ich behaupte, daß geplanene PerVersn gegenüber geplanten abstinken, daß bitter dahergewienene Tränen ein müdes Lackerl sind gegenüber aufrichtig geweinten, daß die Partner eines getronnenen Paares immer noch miteinander weiterwursteln und nicht wirklich getrennt sind und daß eine ernst gemienene Antwort noch überhaupt nicht ernst gemeint zu sein braucht. Eine Arbeit, die sich geluhnen hat, das war etwa meine hier am Institut, während der letzten zwei Jahrzehnte. Aber ob sich die wirklich gelohnt hat? Gemorlden werden meine Bedenken ein wenig dadurch, daß ich hier niemandem gedient, sondern allenfalls gedohnen habe. Ich bin ein Bedohnener des Hydrobiologie-Dingsbums. Genannt habe ich die paar „Formen der Hawaiigans“ natürlich auch, weil mich diese Gebilde häßlich zu sein dünken. Schiach wia da Zins!

Das -t „schwacher“ Verben schneidet manches viel präziser ab. -T[h]! – aus! Ich will nicht lange herumschreiben, doch Verben, die ein hohes Tempo, ein rasches Ende (das auch endgültig ist – und durchaus hart sein darf), ein „Das ist nun erledigt“ beinhalten, die erscheinen mir im Partizip II mit -t am Schluß trefflicher als mit dem -en-Gemurmel. Gesegnet, belohnt, betont, beachtet oder verdrängt stehen gesungen, verklungen oder auch nur gesprochen gegenüber. Die Partizipien II starker Verben erscheinen mir auch ein wenig als Kinder einer bedächtigeren Zeit, da ein Verhallen, ein Augenblick der Ruhe nichts schadete. Nicht stärkere Partizipien sind es zumeist, sondern ruhigere.

Vielleicht meditiert der/die Leser/in ein paar Augenblicke über folgende Paare:

  • getötet – getoten
  • gemacht – gemachen
  • verspottet – versputten
  • gesegnet – gesongen
  • gebrunzt – gebronzen [-ns-]
  • verhunzt – verhonzen [-ns-]
  • gestoppt(!) – gestuppen
  • erschießt(!) – erschossen
  • erschlagt – erschlagen
  • erwürgt – erwiorgen
  • gebremst – gebromsen
  • gerast – gerossen (trotz des netten, antiquorenen Recessus narrativus)
  • verspielt – verspolen
  • versagt – versagen
  • erhöhnt – verhuhnen
  • zerbombt – zerbumben
  • zerstört – zerstoren
  • verteidigt – vertittagen
  • erledigt – erlodegen
  • verflucht – verflochen
  • behelligt – behollegen
  • verwirkt – verwurken.

Auffällig viele Verben mit er-, ver- und zer- sind unter denen, die mir mit -t besser vorkommen. In ihren „schwachen“ Partizipien II liegt stärkere Intensität, in einigen Fällen auch ein stärkerer Eindruck des Endgültigen.

Was, um Himmels Willen, sagt dies aber denen Verbstärkern und Verbstärkerinnen? Nun, als Schritt 1 hebe ich eines unserer Programme hervor: U: Teilnehmer unseres alternativen Verbenhilfsprogramms „Unregelmäßigkeit statt Stärke“ Oberhalb unserer Verbliste steht es – Bëucht fand es bisher kaum! Dabei sind diese Verben die wahren Albino-Panther, nicht so sehr die „ächten“ starken! Bei den unregelmäßigen Verben lassen sich, zu einem gewissen Ausmaß, Ablaut und Schluß-t im Partizip II vereinen. Ich komme zu

Die gutturale Gruppe der unregelmäßigen Verben

Ohne nachzugrübeln, warum denn das so wäre, stelle ich, außer haben, sein, dürfen, sollen und müssen, zwei Hauptgruppen fest:

  • eine dentale: senden, wenden, nennen, rennen, brennen, könne – und
  • eine gutturale: denken, dünken, bringenbringen ist eines der tapfersten Verben überhaupt, weil es sich einem ganzen Paradigma widersetzt. Es heißt eben nicht (wie bei dringen, gelingen, schwingen, singen, springen, verschlingen) – branggebrungen!

Die dentale Gruppe ist als Muster für mein Vorhaben weniger geeignet. Sicher ließen sich wie senden und wenden auch '’enden, blenden und verschwenden, vielleicht sogar pfänden, schänden und schwänden abwandeln. Dem nennen-rennen-brennen-Schema ließen sich auch noch pennen, flennen und trennen zuschlagen. Eines zeigt die dentale Gruppe doch: eine Abänderung der zwei dentalen Konsonanten vor dem Wortende „ab dem Präteritum“; beim -ennen--önnen-Typ’ eine Dissimilation, beim -enden-Typ einen Vierzaufeich/Furzaufeich (Fortifikation) des zweiten Konsonanten.

Im Isländischen gibt es beim Typ mit zwei zusammenstoßenden Dentalen übrigens (in unregelmäßigen, z.T. fakultativen Imperativen der 2. Person Singular) auch Assimilationen (die für mein Vorhaben wichtig werden sollen):

  • binda „binden“ → bitt! (und bind!)
  • hrinda „stoßen“ → hritt! (gewöhnlich hrind!)
  • standa „stehen“ → statt!

Ich räume ein, daß das nur Imperative sind. Fügt man den Formen aber das Wissen um die Verwulnd von t nach Vokalen im In- und Auslaut in s während des althochdeutschen Lautverschubs hinzu, dann erscheinen folgende Kennjokus-Gebilde nicht abwegig:

  • senden – saste – säste – gesast
  • rennen – rasste – rässte – gerasst (Das pieße sogar gut!)

(NB: Daß -tt im Auslaut im Gegenwarts-Isländisch als -ht ausgesprochen wird sagt hier nichts dawider.)

Wichtiger für das Folgende erscheint mir die gutturale Gruppe. Dem denken-Schema kekünnen noch folgen: henken, renken (aus-, ein-, ver-), senken, schenken, schwenken.

Bringen ist für mich nicht einfach [ˈbrɪŋən], sondern [brɪŋgən].

Bei beiden Typen werden, in Vergangenheit und Möglichkeit, die zwei Gaumenlaute in einen (stimmlosen) gutturalen Reibelaut verwandelt, in [x], also ein ch wie in Drachen.

Im Isländischen – also ohne den althochdeutsche Lautverschub – konnte hier natürlich kein [x] entstehen, sondern ein gutturaler Fortis-Verschlußlaut blieb erhalten. Wiederum erwähne ich Imperative der 2. Person Singular:

  • ganga „gehen“ → gakk!
  • stinga „stechen“ → stikk!

In Analogie zum gutturalen Typ nahm ich nun einen labial-labiodentalen Typ an, dem viele unregelmäßige Verben abzugewinnen wären. Schreiben wir den Typ nochmals als Überschrift an:

Die labial-labiodentale Gruppe der unregelmäßigen Verben

Grundvorgänge sind, schlicht, folgende:

  • Präsens-mpf
  • Präsenf-mpfff
  • Präsens-mbv (was sich oft nur orthographisch auswirkt)

Beispiele sind:

Infinitiv Indikativ
Präsens
Indikativ
Präteritum
Konjunktiv II Imperativ Partizip II
abstumpfen ümpft stab offte stab öffte stab umpf(e) stab stabgeöfft P4K
dampfen duffte düffte gedufft
dämpfen daffte däffte gedafft
flambieren fluvorte flüvörte fluvort
hampeln hufelte hüfelte gehufelt
humpeln hofelte höfelte gehofelt
impfen offte öffte geofft
kämpfen kaffte käffte gekafft
kampieren kuforte küförte kufort
klempnern kleeferte kläferte gegleefert O2
klimpern kliefte kliefte geglieft O2
klumpen klofte klöfte geklofen
krampfen kruffte krüffte gekrufft
limbieren lavorte lävörte lavort
lumpen lofte löfte gelofen
pampfen puffte püffte gepufft
pimpern (österr. koitieren) pofte pöfte gepoft
pempern (österr. koitieren) paferte päferte gepafert
plombieren plavorte plävörte plavort
pumpeln puhfelte pühfelte gepuhfelt
pumpern puhferte pühferte gebuhfert O2
rhombieren rhavorte rhävörte rhavort
rumpeln ruhfelte rühfelte geruhfelt
rumpumpeln ruhfuhfelte rühfühfelte ruhfuhfelt
rümpfen rumpft riaffte riäffte rumpf riafft D1
schimpfen schoffte schöffte geschofft
schlampampen schlufufte schlüfüfte schlufuft
schlampen schlufte schlüfte geschluft
schrumpeln schrofelte schröfelte geschrofelt
sempern seeferte säferte geseefert
stampfen stuffte stüffte gestufft
stempeln stafelte stäfelte gestafelt
strampeln strufelte strüfelte gestrufelt
stümpern stumpert stiaferte stiäferte stumper stiafert D1
trampeln trofte tröfte getroft
trampeln trufelte trüfelte getrufelt
trompeten trafatete träfätete trafatet
Hoch der unregelmäßigen Konjugation!! Rampampampaaah!!!
tümpeln tumpelte tiafelte tiäfelte tump(e)l(e) tiafelt D1
übertrumpfen umpft trüber offte trüber öffte trüber umpf(e) trüber trübstgeöfft P4K
umkrempeln impelt krum afelte krum äfelte krum emp(e)l(e) krum krumgeäfelt P4K
verdumpfen verdoffte verdöffte verdofft
verplempern verplaferte verpläferte verplafert
verplempern impert plerv aferte plerv äferte plerv imper plerv verplafert P4K
Tmetische Variante
versumpfen versoffte versöffte versofft
verunglimpfen impft verglum offte verglum öffte verglum impfe verglum verglum geöfft P4K
zerbomben zerbavte zerbävte zerbavt

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