Der österreichische Kennjokus – Coniugatio Austriaca: Unterschied zwischen den Versionen

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'''wischerln''' (urinieren – nicht nur bei Kindern) – wlürsch[e]st – wlürscht – wlürsch! [letzte drei Formen: Rundung] – wlarsch – wlärsche [beide irgendwie paradox] – lεwurschen [e-haltiger Gleitvokal]  
'''wischerln''' (urinieren – nicht nur bei Kindern) – wlürsch[e]st – wlürscht – wlürsch! [letzte drei Formen: Rundung] – wlarsch – wlärsche [beide irgendwie paradox] – lεwurschen [e-haltiger Gleitvokal]  


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Aktuelle Version vom 15. August 2007, 20:46 Uhr

von Berthold Janecek

Überraschend kompliziert und mit Sonderformen durchspucken ist der ‚Österreichische Kennjokus’. (Übers Bairische bin ich da zu wenig informiert.)

Er betrifft – ‚fensterln’ ist eine Ausnahme - die einmal schon gestriff’nen Verben auf ‚-erln’. Es handelt sich sozusagen um Diminutivformen von Verben. Viele haben einen kinderspralchen Anstrich. Mit ‚-erln’ lassen sich in Österreich (eigentlich im Wiener Raum, in anderen Dialekten kann das Infinitiv-Ende geringfügig verschieden sein: z.B. ‚–elen’ oder ‚-alen’ – zweisilbig! - in Kärnten und großen Teilen Tirols) viel mehr Verben verkleinern, etwa wenn von Kindern oder sogar von kleinen Tieren die Rede ist. Ich habe nur Verben angefohren, die eine gewisse Verankerung in der Umgangssprache (z.B. bei den Fronleichnamsumgängen, hihihi!) besitzen.

Noch dazu werden einige dieser Verben eigentlich fast nur im Infinitiv verwendet (zusätzlich z.T. substantivoren) z.B. die uralten Kinderspiele ‚abfanzgerln – [‚A...]’, ‚anmäuerln’ – [‚A-...]’ und ‚pfitschigogerln – [P...]’; ferner ‚äußerln’, das sogar der ‚Große’ Duden kennt: ‚österreichische Umgangssprache, nur im Infinitiv gebräuchlich. Seinen Hund auf die Straße führen. [Wohl eher einen kleineren Hund. Ob man auch mit einem ausgewachsenen Pitbull-Mastiff ‚äußerln gehen’ kann?] Seinen Dackel äußerln führen.’

Weshalb aber sollen sich diese Verben keinen starken Kennjokus verdienen? ‚Ich äußerle meinen Bologneser.’

Die Grundregeln, paralinguistisch exakt formuloren, sind die folgenden:

Initium: Infinitiv: syllaba ultima cum litteris consonantibus quasi-minuentis ‚rl’ ante ‚n’ finale

Eventus (Grundvorgänge / Kennjokus):

1) Präteritum, Konjunktiv II, z.T. Indik. Sg., 2., 3. Pers. u. Imperativ Sg., 2. Pers. – beim diphthongierenden Kennjokus (‚buckelfünferln’ folgt ihm z.T.) auch Imp. Pl., 2. Pers. Circumsessio syllabae primitivae vocalis vel diphthongi cum ‚l’ ad sinistram, ‚r’ ad dextram. (Das ‘r’ steht hinter dem Vokal der Stammsilbe – wie bei ‚stolpern – storlp’, das ‚l’ überspringt diesen Vokal und steht davor)

2) Participium perfecti: perseverantia litterae ‚r’. Progressus litterae ‘l’ ad initium verbi aut ad dextram syllabae primae vocalis aut ad sinistram syllabae primae vocalis (z.B. bei ‘äußerln’)

Die Sonderregeln werden bei den entsprechenden Verben angefohren.

abfanzgerln (Fangen spielen) – fanzgerle ab – flärnzgest [brutal: flärnzgst] ab – flärnzgt ab – flernzg ab! [orthographische, keine echte Entrundung – ‚erotunditas falsa’] – flurnzg ab – flürnzge ab – alb gefarnzgen [Intrusio litterae consonantis ‚l’ in syllabam primam: ‚ab > alb’]

anmäuerln (altes Kinderspiel) – mäuerle an – mleirest an [brutal: mleirst] – mleir[e]t - mleire an! [mleir!] [die letzten drei Formen zeigen Entrundung ‚äu > ei’ – ‚cum erunditate’: auch bei ‚äußerln’] – mlor an – mlöre an - angelmoren

äußerln – äußerle – leireßt [leirßt] – leirßt – leirß! – lorß – lörße – gleorßen [Intrusio litterae consonantis ‚l’ in syllabam primam: ge > gle; ‚amplificatio syllabae primae ‚ge’; auch beim folgenden Verb]

brunzerln (nach Harn riechen – eher bei Kindern; doch der schlimmste Schlafsaal in einem bekannten Wiener Obdachlosenasyl heißt, glaub ich, ‚Brunzerlzimmer’) – brunzerle – brlürnz[es]t – brlürnzt – brlürnz! – brlornz – brlörnze – gelbrornzen [hier klingt das Gelb des Harnes an; insgesamt hat der Kennjokus, dem üblen Geruch nach, den das Verb verströmt, kakokonsonantische Anklänge – vgl. z.B. ‚krlätte’]

buckelfünferln (Verharmlosung von ‚am/im Arsch lecken’) – fünferle buckel – flurnfst buckel [diphthongierender Kennjokus: praesens viceversum] – flurnft buckel – flurnf buckel! – flurnft buckel! [Übertragung vom Singular] – fliarnf buckel – fliärnfe buckel – buckel lεfiurnfen [Svarabhakti – Gleitvokel e (e-haltiger Murmellaut); auch bei ‚täuscherln’ und ‚wischerln’. Im Wienerischen gibt es auch a-haltige Gleitvokale: z.B. Floridsdorf (21. Bezirk) > Fαluaritsduaf]

fizikababerln (ärgern) – fizikababerle – füzükäblärbst – füzükäblärbt – füzükäblärb! [letzte drei Formen: cum rotunditate (Rundung) i > ü] – fazakublurb – fäzäküblürbe – fuzukalbarben [Coniugatio duplex gemina; fast noch ärger als bei ‚ärgern’, oder?]

kackerln (kacken – bei Kleinkindern) – kackerle – klärckst – klärckt – klärck! [ein ziemlich harter Befehl] – klurck – klürcke - gelkarcken

plauscherln (kurz und vertraut miteinander reden) [Selbstverstalnd verzichte ich auf das antisemitische ‚mauscherln’.] – plauscherle – plälürsch[e]st – plälürscht – plälürsch! [letzte drei Formen: cum disiectione – Aufsprengung – diphthongi et inclusione litterae ‚l’] – plolorsch – plölörsche [letzte zwei Formen: cum duplicatione syllabae primitivae vocalis et inclusione litterae ‚l’] - gelporschen

pfitschigogerln (eine Art Tischfußball mit zwei (z.B., früher) Schillingen als Mannschaft und einem ‚Zehnerl’ als Ball. Wird z.B. auf Schultischen mit durch tiefe Furchen markierten Toren gespielt. Auf der ‚Allgemeinen Zoologie’ gab es eine ‚Pfitschi-Lade’ mit ausgesägten Toren. Die Schillinge hatten phantasievoll gestaltene, aufgeklebte ‚Dressen’) – pfitschigogerle – pfütschüglörgst - pfütschüglörgt – pfütschüglörg! [letzte drei Formen: mit Rundung] – pfatschaglarg – pfätschäglärge – pfutschulgorgen [Hier klingt das ‚irgendwie’ verbotene, Tische beschädigende, Schulspiel an. / Coniugatio triplex]

täuscherln (ein kleines Tauschgeschäft durchführen) – täuscherle – tleirsch[e]st – tleirscht – tleirsch! [letzte drei Formen: Entrundung äu > ei] – tlorsch – tlörsche – lεtorschen [mit e-haltigem Gleitvokal; statt ltorschen]

verhätscherln (ein Kind verwöhnen, verzärteln, für überlange Zeit infantilisieren) – verhätscherle – verhlärtsch[e]st – verhlärtscht – verhlärtsch! – verhlartsch – verhlärtsche [oder: verhlörtsche, wegen Verwechslungsmöglichkeiten mit einigen Indikativ-Praesens-Singular-Formen] – verl gehortschen [Hier und beim P.P. des folgenden Wortes klingt Kaiser Ferdinand I. von Österreich an; F. ‚Der Gütige’ galt als dümmlich, abgedankt im Revolutionsjahr 1848]

verscheißerln (ähnlich dem vorigen, noch schärfer) – verscheißerle – verschleirßt – verschleirßt – verschleirß! – verschlirß – verschlirße – verl geschirssen [ein proletarisch-studentischer Wunsch 1848]

wischerln (urinieren – nicht nur bei Kindern) – wlürsch[e]st – wlürscht – wlürsch! [letzte drei Formen: Rundung] – wlarsch – wlärsche [beide irgendwie paradox] – lεwurschen [e-haltiger Gleitvokal]

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