Das Haikö der Haikos

Aus GSV
Version vom 15. August 2007, 09:18 Uhr von Kilian (Diskussion | Beiträge) (hat Das Haikö der Haikos nach Das Haikö der Haikos verschoben)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Ein Gastbeitrag der GSV für die Initiative Rettet dem Ö! (Frühjahr 2004)

Jöhann Wölfgang vön Göthe soll einmal unvergesslich bemorken haben: „Jede große Kunstform wird früher oder später einmal dem Ö retten.“ So scheint es auch beim Haiko zu sein, einer Gedichtform, die nunmehr schon auf eine lange und ruhmreiche Geschichte von zweieinhalb Monaten zurückblickt. Erfunden wurde sie von Gerhard Schwenke, benannt in Anlehnung an das japanische Haiku (auch eine sehr kurze Gedichtform), definiert als hailiger Hain des Konjunktivs, eine Möglichkeit, sich dichterisch auszutoben und gleichzeitig beim Leser das Bewusstsein für saftige, starke, bald umlautende, in jedem Fall unregelmäßige Konjunktivformen zu wecken, fern der schnöden Umschreibung mit „würde“. Wer will schon „Ich würde toben.“ sagen, wenn man auch „Ich töbe“ sagen kann? Womit auch klar ist: Die Konjunktive müssen durchaus nicht im Wörterbuch stehen, sondern dürfen frei erfunden sein. „Zwülfe“ kommt von „zweifeln“, „hächte“ kommt von „henken“ (so wie bei „denken“), „miüe“ von „miauen“, „erdrisse“ von „erdreisten“ und so weiter - und so sehen die Endprodukte des Stärkens, Konditionalkonstruierens und Dichtens dann zum Beispiel aus:

Im Sommer
Schniee es hier,
führe ich Skier.
Andreas M. Cramer

Wenn ich in der Klemme stäke,
wönsch ich nicht, dass man mich näke!
Klaus Bailly

Bei so vielen unregelmäßigen Konjunktiven verwundert es nicht, dass die Gesellschaft zur Stärkung der Verben sich der Haikos annahm und dank großem Reimfieber in der Netzgemeinde schon fast 100 Haikos gesolmmen hat, eins schöner als das andere. Doch erst kürzlich trug es sich zu, dass mir scheinbar zufällig, von Schicksals Hand gelenkt, das erste auffällig ö-lastige Haiko aus den Fingern in die Tasten floss, sozusagen das Haikö der Haikos. Ich hatte gerade einen lange ertragenen Missstand beseitigt und dem schönen alten Verb „dünken“ den Konjunktiv II verpasst, der ihm bis dato laut Wörterbuch irgendwie fehlte: „dünken, deuchte, döche, gedeucht“! Und so strahlte mich nach vollendeter Reimschmiedearbeit das gleich mitgedichtete zugehörige Haiko an:

Flörtte er auch dröge,
mich döche doch, er flöge!

Wie die Analyse ergibt, geht es hier um jemanden, der einen Flugversuch unternimmt. Das lyrische Ich ist voll des Vertrauens zu diesem und bringt zum Ausdruck, dass ihm ein Gelingen des Versuches wahrscheinlich erscheint, selbst wenn das Flattern (flattern, flortt, flörtte, geflortten) des Versuchers „dröge“ wirken mag. Einem genaueren Blick, auf das Haiko geworfen, wird nicht nur die Vielzahl (Vierzahl), sondern auch die Anordnung der ös auffallen. Nicht umsonst sehen Sie das Haiko auf Ihrem Bildschirm in nicht-proportionaler Type, denn wenn Sie jetzt einen wasserlöslichen Marker nehmen und sie verbinden, erhalten sie ein exaktes Parallelogramm, das nicht nur an einen Lilienthal’schen oder dädaläischen Flatterflügel erinnert, sondern auch - das beschließe ich jetzt einfach mal - das Geheimzeichen der Haikonianer ist, einer geheimbündlerischen Sekte oder Burschenschaft, von der man munkelt, einer der größten zeitgenössischen Haiko-Dichter plane ihre Gründung. Bedeutungsschwöre, wohin man blickt - eins ist gewiss: Das Haiko wird starken Konjunktiven, Umlauten und damit natürlich auch den ös auch weiterhin einen exzellenten literarischen Nährboden bieten.

Kilian Evang